In den vergangenen Wochen ließen chinesische Nationalisten ihrem Unmut und ihrer Wut über den Westen freien Lauf: Mit zahlreichen Aktionen (u.a. Demonstrationen, Boykottaufrufen, Hackerangriffen, beleidigenden Websites, Morddrohungen und einer Flut roter China-Herzchen beim MSN Messenger) protestierten sie gegen die angebliche (teilweise auch tatsächlich) verzerrte und „fehlerhafte“ Berichterstattung der westlichen Medien über die Niederschlagung des tibetischen Aufstandes im März. Und natürlich gegen die westliche „Verschwörung“ gegen die „friedliche Entwicklung“ Chinas. Wie schon bei den teilweise gewaltsamen anti-japanischen Protesten im Jahre 2005 hat die chinesische Regierung die anti-westlichen Proteste durch die chinesischen Medien zunächst wohlwollend betrachtet und die nationalistischen Gefühle ihrer Bürger gefördert. Das Ansehen im Ausland hat zwar gelitten (Horden gedanklich „gleichgeschalteter“ Chinesen erinnern viele immer noch an „blaue Ameisen“), der „rally-around-the-torch“-Effekt sorgte aber für ein kollektives Gefühl des Angegriffen- und Beleidigtseins, vor allem bei den chinesischen Auslandsstudenten. Dieser versammelten sich dann um die weise und fürsorgliche Kommunistische Partei Chinas. Im Inland war diese sehr offensive Propagandastrategie also ein voller Erfolg. Manche westlichen Medien haben durch schlampige Berichterstattung und zweifelhafte Aussagen kräftig dazu beigetragen.
Nun bekommt die Führung in Peking es mit der Angst zu tun. Die anti-westliche Nationalismus-Kampagne wird von der Regierung zwar gefördert, aber nicht direkt gesteuert. Sollten die Proteste (vor allem im Inland, wie hier) in Gewalt umschlagen, dann würde das die erfolgreiche Durchführung der Olympischen Spiele im Sommer gefährden. In einem bislang nur auf Chinesisch bei der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua erschienen Kommentar („Seine eigenen Dinge gut erledigen, das ist der größte Patriotismus„) werden die Chinesen dazu aufgerufen ihre patriotische Energie für die erfolgreiche Abhaltung der Olympischen Spiele („我们要集中精力办好北京奥运会.“) und die weitere Entwicklung der chinesischen Wirtschaft einzusetzen („我们要集中精力搞好经济建设.“). Bei den Olympischen Spielen soll man der Welt ein freundliches und offenes China zeigen („我们每一位中华儿女,都有责任以自己的实际行动告诉世界:中国张开双臂欢迎世界各国的友人,把出色的奥运会奉献给全世界.“), für pöbelnde Nationalisten ist da kein Platz. Zudem würden Boykotte gegen westliche Firmen die wirtschaftliche Entwicklung des Landes gefährden, fürchtet jedenfalls die Partei. In den nächsten Wochen dürften sich die chinesischen Nationalisten also wieder etwas beruhigen und ich vermute dass auch die staatlichen chinesischen Medien vom Angriffsmodus auf den olympischen Kuschelmodus umschalten werden. In der Hoffnung, dass bis zum Sommer wieder Friede, Freude und Eierkuchen herrschen. Die erfolgreiche Durchführung des Mega-Propagnda-Events Olympische Spiele hat für die Partei nach wie vor die oberste Priorität.
Trotzdem sollte man sich mit den chinesischen Argumenten auseinandersetzen. In einer ruhigeren Atmosphäre sollte das einfacher möglich sein, ohne dass unsere chinesischen Freunde gleich kollektiv die beleidigte Leberwurst spielen. Vor allem der Zhengyou (諍友)-Ansatz von Kevin Rudd und der Economist-Artikel zur wirtschaftlichen Lage in Tibet sind dabei nützlich. Man kann mit (manchen) Chinesen nämlich durchaus diskutieren und man sollte dies auch tun, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Die derzeitige Lage in Tibet ist nämlich eine Schande für eine derart „großartige, antike Zivilisation“ wie China.
Danke, Presidente, für die umfassende Übersicht. Ich selbst bin gestern Abend beim Lesen des Artikels eingeschlafen. 😉
Xinhua gibt sich Mühe. Mehr können die einfach nicht… 😉
Doch doch. Immerhin sind es fähigere Journalisten als die Luschen im Westen, die noch nichtmal Nepal und Tibet auseinanderhalten können. Ein Trauerspiel, sage ich Ihnen.
[…] April 27, 2008 · No Comments Nun, da die chinesische Regierung zur Bestürzung ihrer sich in nationalistischem Taumel befindlichen Wähler Anhänger Schäfchen doch mit der “Dalai-Lama-Clique” verhandeln will, wird sich der aufgewirbelte Staub über die schlimmen Verfehlungen westlicher Medien im Zusammenhang mit der Berichterstattung Tibet wohl auch demnächst legen. Die Zeichen stehen auf Entspannung, wie man bei intensiver Studie der Propaganda freien chinesischen Presse bereits vor etwa 10 Tagen sehen konnte. […]