Vergleiche sind halt Glückssache, nicht? Nebenan beim Antibürokratieteam zeigt man sich entzückt über ein grafisch gut gemachtes Video, eine Auskopplung dieser website, die darüber aufklären will, wie gefährlich der Gebrauch moderner Technik für die allgemeine Datensicherheit doch sei.
Dieses Video bedient sich eines klassischen Dammbrucharguments (slippery slope auf Englisch). Dammbruchargumente verwenden intuitiv leicht erfaßbare Sachverhalte und leiten daraus nichtzulässige Schlußfolgerungen – häufig über mehrere Stufen – ab: Aus A folge B folge C folge D …. folge Z, also aus A folge Z.
Dammbruchargumente sind ziemlich häufig Blödsinn. Ein beliebtes Beispiel ist das „Kamel im Zelt“-Argument: „Sobald ein Kamel es geschafft hat, seine Schnauze ins Zelt zu stecken, wird es kurze Zeit später komplett drin sein.“ Genetische Merkmale des Kamels (seine Größe) verhindern hier offenbar, daß der beschriebene Fall häufig eintritt.
In diesem Video wird das beliebte Beispiel eines Frosches im Kochtopf herangezogen, der bei langsamer Wassererwärmung vorgeblich nicht mitbekommt, daß er gekocht wird und daher nicht aus dem Topf herausspringt. Es heißt weiter: „Moderne Gesellschaften haben ein ähnliches Reaktionsvermögen wie ein Frosch im heißen Wasser. Gewöhnt man sie langsam an sich verändernde Umstände, merken sie davon gar nicht viel.“ Dann folgt eine recht dramatische Serie von Illustrationen an deren Ende alle im Gleichtakt marschieren.
Man sieht jetzt klar, daß wir es mit einem Dammbruchargument zu tun haben. Zuerst der Frosch, der als intuitives Analogon dient, und dann die A-B-C-…-Z-Argumentationskette. Es soll suggeriert werden, daß Überwachungskameras letztlich wieder zu Krieg führen. Die lange Argumentationskette hat einen Nachteil:
As an example of how an appealing slippery slope argument can be unsound, suppose that whenever a tree falls down, it has a 95% chance of knocking over another tree. We might conclude that soon a great many trees would fall, but this is not the case. There is a 5% chance that no more trees will fall, a 4.75% chance that exactly one more tree will fall (and thus a 9.75% chance of 1 or less additional trees falling), and so on. There is a 92.3% chance that 50 or fewer additional trees will fall. The expected value of trees that will fall is 20. In the absence of some momentum factor that makes later trees more likely to fall than earlier ones, this „domino effect“ approaches zero probability.
Nehmen wir als Beispiel für ein unseriöses Dammbruchargument an, daß ein fallender Baum eine 95% Wahrscheinlichkeit habe, einen anderen Baum mitzureißen. Nun könnte man folgern, daß bald sehr viele Bäume umkippen würden, aber das ist nicht der Fall. Es gibt eine 5%-ige Chance, daß zusätzlich gar kein Baum fällt, eine 4,75%ige, daß zusätzlich genau ein Baum fällt (und daher eine 9,75%ige Chance, daß entweder einer oder gar keiner mitgerissen wird) undsoweiter. …. Der Erwartungswert für die Anzahl mitgerissener Bäume liegt bei 20. In Abwesentheit eines Beschleunigungsfaktors, der das Fallen späterer Bäume wahrscheinlicher macht, konvergiert die „Domino“-Wahrscheinlichkeit gegen 0.
In dem Baumbeispiel liegt die Mitreißwahrscheinlichkeit schon bei extrem hohen 95%. Wer jemals unfaßbar freche Jugendliche in britischen Bussen direkt unter der CCTV-Kamera hat pöbeln sehen, weiß, daß schon das erste Schritt im Video (die Neigung, sich unter Überwachung gleichgeschaltet zu verhalten) mit deutlich niedrigerer Wahrscheinlichkeit behaftet ist. Folglich wird die Dominoserie schnell auf Wahrscheinlichkeit 0 konvergieren, i.e. das Beispiel ist völlig übertrieben.
Und hier kommt noch verschärfend hinzu, daß schon das Analogon eine Luftnummer ist. Frösche springen ab einer bestimmten Reiztemperatur aus dem Kochtopf. Es ist völlig egal, wie schnell man erwärmt. Punkt. Vergleiche sind halt Glückssache.
Fürs Protokoll: Froschkochvergleiche als Sonderklasse der Dammbruchargumente wurden schon für viel Schwachsinn verwendet. In Wirtschaftsbüchern sogar für extrem viel Schwachsinn.